Städtetest zur Lebensqualität in deutschen Großstädten

  • Lichtjahre Entfernt

    Wachstum, Wohlstand, Jobs, Lebensqualität: In einer exklusiven Vergleichsstudie hat die WirtschaftsWoche die 50 größten deutschen Städte gegeneinander in den Ring geschickt.

    Krankfurt? Mainhattan? Geldstadt ohne Seele? Hartmut Schwesinger kann es nicht mehr hören. Er ist Frankfurt-Fan von Berufs wegen und als Geschäftsführer der örtlichen Wirtschaftsförderung bemüht, das Image der vielerorts unbeliebten Mainmetropole aufzupolieren. Sein Credo: „Frankfurt ging früher unsorgfältig mit sich um. Doch jetzt ist die Stadt auf einem tollen Weg.“
    Das Erstaunliche ist: Der Mann hat Recht. Das kühl-moderne Frankfurt mit seiner charakteristischen Bankenskyline verfügt nicht über den Glamour von München, den großbürgerlichen Habitus von Hamburg oder die rheinische Leichtigkeit von Köln. Doch keine Stadt verändert sich so schnell und dynamisch, nirgendwo hat der Wohlstand in den vergangenen Jahren so stark zugenommen. Obwohl die Banken, Frankfurts wichtigste Branche, schwächeln und der Finanzplatz am Main gegenüber London an Boden verliert (WirtschaftsWoche 12/2004), sind die lokalen Standortbedingungen für die Wirtschaft exzellent. Bei der Gründungsintensität zählt die hessische Metropole zu den „Topfive“ im Lande. Mehr noch: Nach ökonomischen Kriterien ist Frankfurt insgesamt sogar Deutschlands zweitbeste Stadt. Noch besser als die 650 000-Einwohner-Stadt am Main schneidet nur noch München ab.
    Das ist das Ergebnis eines großen Städtetests von WirtschaftsWoche, der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) und der Kölner IW Consult GmbH. Es ist die umfangreichste kommunale Vergleichsstudie, die es hier zu Lande je gegeben hat. Das Ranking, das auf über 100 gewichteten Einzelindikatoren beruht, gibt einen detaillierten Einblick in die Leistungskraft der 50 größten deutschen Städte und die Lebens-und Arbeitsbedingungen der dort lebenden Menschen (siehe Übersicht Seite 24). Das Besondere dabei: Weil neben einem „Niveauranking“, das die aktuellen absoluten Werte vergleicht, ein zusätzliches „Dynamikranking“ in die Bewertung einfließt, das Veränderungsraten erfasst (siehe Methodikkasten Seite 25), wird auch ermittelt, wenn wirtschaftlich benachteiligte oder rückständige Kommunen auf dem Weg nach oben sind. Oder wenn erfolgreiche Städte nachlassen und sich auf den Meriten der Vergangenheit ausruhen. So zählt im Test zum Beispiel nicht nur die Höhe der Arbeitslosenquote, sondern auch deren Veränderung seit 1998.
    Ziel der Studie ist es nicht zuletzt, ein Benchmarking der Kommunen in Gang zu setzen und den Wettbewerb zu fördern. Schließlich prägt keine andere Gebietskörperschaft das Lebensumfeld der Bürger so unmittelbar wie die Kommunen. Sie sind die staatliche Instanz, mit der es Unternehmer hautnahzu tun bekommen, wenn sie investieren wollen. Und obwohl die Städte wegen ihrer Finanznot die Investitionsausgaben stark herunterfahren, sind sie immer noch für fast zwei Drittel der öffentlichen Investitionen in Deutschland verantwortlich. INSM-Geschäftsführer Tasso Enzweiler: „Ohne leistungsstarke Städte kann die Wirtschaft nicht nachhaltig wachsen.“
    Im Wettstreit der Städte ist München der Sieg nicht zu nehmen. Die von Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) geführ- aa te bayrische Landeshauptstadt erzielte 133,7 von 200 maximal möglichen Punkten – mehr als doppelt so viel wie das Schlusslicht Halle. Punkten kann München vor allem mit seinem hohen Wohlstandsniveau. An der Isar verdient man bundesweit am meisten, auch weil hier jeder fünfte Beschäftigte hoch qualifiziert ist – deutscher Spitzenwert. Die Stadt hat die niedrigste Arbeitslosenquote, die Zahl der Beschäftigten ist zwischen 1998 und 2003 um 6,5 Prozent gestiegen, und nirgendwo sonst gibt es so viele Ausbildungsplätze. Gemessen an der Einwohnerzahl hat München die wenigsten Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfeempfänger. Lediglich 4,5 von 100 Einwohnern sind auf Staatsknete angewiesen, fast dreimal weniger als in Kassel. Und wer wirtschaftlich prosperiert, dem läuft niemand weg – beim Bevölkerungswachstum liegt München (nach Freiburg) bundesweit auf Rang zwei.
    „München profitiert vor allem von seiner ausgezeichneten Wirtschaftsstruktur. Was nach dem Krieg ein Nachteil war – das Fehlen von Kohle- und Schwerindustrie –, ist jetzt der große Vorteil“, sagt IW-Consult-Geschäftsführer Karl Lichtblau, der die Studie wissenschaftlich betreut hat. Für ihn ist der gute Mix aus Handwerk, Produktion und Dienstleistungen entscheidend, allein im High-Tech- und Biotechnologiebereich seien 20 000 Unternehmen entstanden. Was den Standort ebenfalls stark macht: Nirgendwo sonst in Deutschland haben so viele Großunternehmen ihre Zentrale angesiedelt. In München sind es 94; die Hauptstadt Berlin kommt nicht einmal auf die Hälfte.
    Allerdings sollte sich München auf den Lorbeeren nicht ausruhen. Die Stadt lebt von der Substanz. Den kommunalen Wettstreit gewinnt die Stadt nur, weil sie im Niveauranking mit großem Vorsprung an der Spitze liegt. Die Dynamik hingegen lässt zu wünschen übrig. Betrachtet man die Entwicklung der Städte seit 1998 und vergleicht allein die Veränderungsraten, liegt München nur noch auf Rang 13. Die bundesweit größte Dynamik verzeichnen Frankfurt, Stuttgart, Bremen, Freiburg und Karlsruhe. In München sind Arbeitslosigkeit (freilich von niedrigem Niveau aus) und Schulden stärker als in vielen anderen Städten angestiegen. Mit knapp 3500 Euro steht statistisch gesehen jeder Münchner in der Kreide, der dritthöchste Wert unter allen Städten. Überdies ist die städtische Verwaltung aufgebläht: Auf 100 Einwohner kommen 3,1 Kommunalbeschäftigte – so viel Personal leistet sich keine andere Stadt.
    Hinter München und Frankfurt schafft Stuttgart im Gesamtranking den dritten Platz, dann kommt Mainz (als zweite Stadt aus dem Rhein-Main-Gebiet), dann folgt Düsseldorf als beste Stadt im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. An Rhein und Ruhr klafft die Schere zwischen erfolgreichen und problembeladenen Kommunen besonders weit auseinander. Die nächsten Weststädte sind Münster (Rang 8 ) und Köln (Rang 11). Ruhrgebietsstädte wie Bochum, Duisburg, Herne undGelsenkirchen hingegen landen im hinteren Drittel; Dortmund schafft im Dynamikranking einen erträglichen Rang 16, liegt insgesamt aber nur auf Platz 27.
    Aggregiert man die Ergebnisse der Studie nach Regionen, zeigen sich klare Trennlinien zwischen Nord und Süd sowie West und Ost. Im Niveauranking liegt der Süden (Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Saarland, Rheinland-Pfalz) deutlich vor dem Westen (Nordrhein-Westfalen), dem Norden (Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen, Hamburg) und dem Osten (neue Bundesländer, Berlin). Bitter für NRW: Beim Dynamikranking überholt der Norden den Westen.
    Und der Osten? Die aktuelle Debatte um weit gehend wirkungslos verpuffte Subventionsmilliarden für die neuen Bundesländer dürfte durch die Studie neuen Zündstoff erhalten. Auch fast 15 Jahre nach der deutschen Einheit sind die Ost-West-Gegensätze in den Kommunen eklatant. „Von westlichem Wohlstandsniveau und einem selbstragenden Aufschwung sind die ostdeutschen Städte noch Lichtjahre entfernt“, sagt IW-Consult-Chef Lichtblau. Als beste ostdeutsche Großstadt schafft es Dresden auf Rang 40. Auf den letzten zehn Plätzen liegen mit Ausnahme von Gelsenkirchen (Platz 41) und Lübeck (Platz 43) ausschließlich Oststädte. Besonders bedenklich: Selbst im perspektivisch angelegten Dynamikranking, in dem sich gerade Städte mit schwacher Ausgangsposition profilieren können, schneiden die neuen Bundesländer nicht besser ab. Der Rückstand dürfte sich also noch vergrößern.
    Verantwortlich für das schlechte Ergebnis sind vor allem Wachstumsschwäche, geringer Wohlstand und die desolate Lage auf demArbeitsmarkt, aber auch schrumpfende Bevölkerung und die maroden Kommunalfinanzen. Die Ursachen dafür liegen sicher- a lich nicht allein bei den Kommunen. Aber auch eigene Versäumnisse trüben das Bild: Die Stadt Halle etwa schafft es, bei den Abwassergebühren ihren Bürgern und Unternehmen fast das Dreifache abzuknöpfen wie die günstigste Stadt Augsburg.
    Allenfalls in Teilbereichen deutet sich in den neuen Ländern eine Wende zum Besseren an. Die kommunale Investitionsquote etwa, also der Investitionsanteil an den Gesamtausgaben, ist in Dresden bundesweit Spitze, unter den Top Ten liegen mit Erfurt, Magdeburg, Leipzig und Chemnitz vier weitere Oststädte. Bei den Gewerbesteuerhebesätzen halten sich die Städte zurück, und auch bei den Arbeitskosten kann der Osten punkten – nirgendwo in der Republik bekommen Unternehmen Mitarbeiter so günstig wie in Chemnitz, Erfurt, Magde- a burg, Halle und Rostock (siehe Tabelle Seite 26). In Dresden sorgt zudem der hohe Anteil von hoch Qualifizierten an den Beschäftigten für Pluspunkte – die Elbestadt schafft hier hinter München Rang zwei.
    Ein wahres Fiasko ist der WirtschaftsWoche-Test hingegen für die Hauptstadt Berlin. Platz 47 im Niveauranking, Platz 49 bei der Dynamik, der Arbeitsmarkt desolat (Rang 49), in keiner wichtigen Kategorie auch nur annähernd in der Spitzengruppe, beim Wohlstand überrundet von Städten wie Hamm, Herne und Gelsenkirchen – Tristesse pur. Berlin hat die zweitschlechteste Sozialstruktur, bezogen auf die Einwohnerzahl gibt es nur in Kassel und Halle mehr Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger und nur in Gelsenkirchen weniger Lehrstellen. Die Kaufkraft der Einwohner ist seit 1998 nirgendwo so drastisch gefallen wie in der Hauptstadt. Spitze ist Berlin nur in einer Kategorie: bei der Anzahl der Verbrechen. Lichtblau: „Berlin schmiert ab – und es gibt bisher keine Anzeichen der Besserung.“
    Erfreulicher ist da der Blick auf die vielen kleinen Sieger, die zwar insgesamt im Niemandsland der Tabelle landen, wohl aber in Teilbereichen mit Spitzenwerten auf sich aufmerksam machen. So kann Oldenburg (Gesamtrang: 21) die niedrigste Pro-Kopf-Verschuldung vorweisen und überdies im Zeitraum 1998 bis 2002 den drittgrößten Einwohnerzuwachs vermelden – offenbar lebt es sich gut im hohen Norden. Oberhausen (Rang 32) erledigt die kommunale Verwaltung mit dem (bezogen auf die Einwohnerzahl) geringsten Personalbestand. Ludwigshafen (Platz 31) lockt mit dem niedrigsten Gewerbesteuerhebesatz. Augsburg (Platz 12) ist der Schrecken jedes Ganoven, hier liegt die Aufklärungsquote von Verbrechen bei 67,4 Prozent.
    Natürlich lässt sich aus ökonomischen Daten nicht alles herauslesen. Ob eine Kommune wirtschaftsfreundlich ist und effizient arbeitet, lässt sich objektiv schwer messen. Daher fließt eine exklusive Umfrage in das Ranking mit ein. Über 1000 Unternehmer äußerten sich darin über die Wirtschaftsfreundlichkeit, das Leistungsangebot, die Reformfreude und die Verwaltungseffizienz ihrer Stadt. Ergebnis: Die ostdeutschen Städte schneiden vergleichsweise gut ab. Leipzig schafft im Votum der Manager Platz 9, Erfurt erreicht Platz 14. Die besten Noten der Wirtschaft bekommt Stuttgart, gefolgt von München, Aachen, Münster und Osnabrück. Die Effizienz der Verwaltung loben vor allem die Unternehmer in Aachen, Münster, Düsseldorf und Hamm. Am unzufriedensten mit ihrer Stadt sind die Firmenchefs in Wuppertal und Augsburg.
    Bleibt zu hoffen, dass die Kommunalpolitiker aus diesen Ergebnissen die richtigen Schlüsse ziehen. Ansatzpunkte zur Korrektur von Fehlentwicklungen liegen mit dem Ranking vor. Und eines ist klar: Der Städtetest der WirtschaftsWoche wird wiederholt.

    Quelle: Wirtschaftswoche Nr.17 S.22-31

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    So far, viel Spaß in Eurer Stadt :)

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  • Jahr 2, Studie Nr.2, für alle die es interessiert:

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    Offizielles Ergebnis der Studie (nicht der Bericht aus der WiWo selbst) des INSM: http://wiwo.de/wiworlzr/statics/pdf/endbericht.pdf

    Viel Spaß beim Lesen.

    Gruß
    Markus

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