Der gemeine Schleimbeutel
In jedem Seminar sitzen sie: die Professoren-Lieblinge, die klebrigen Kofferträger, die Johannes B. Kerners unter den Kommilitonen. Was tun? Gar nichts, man muss sie gewähren lassen, hinnehmen wie einen Pickel, meint Juan Moreno
Irgendwann ist man zu alt. Man nimmt es gelassen, akzeptiert, dass es sie gibt, belächelt sie, da man Würde, Ruhe und Frieden gefunden hat. Man lässt sie gewähren. Was soll's, sagt man sich, dann gibt es sie eben, diese akademischen Speichellecker, diese immatrikulierten Parasiten. Irgendwann. Ich schätze, bei mir wird das mit 95 so weit sein. Keinen Tag eher.
Früher nannten wir sie einfach Streber, und man hat in der großen Pause ihren Turnbeutel mit Schlamm gefüllt, oder wenn es schnell gehen musste, ihnen einfach einen feuchten Kaugummi in die Haare gerieben, nicht sonderlich kreativ, aber wir waren Kinder. Jahre später, man war älter und fing an, die Dinge differenzierter zu sehen. Man erkannte Wahrheiten. Es gab keine Streber mehr, es gab gute Schüler, es gab schlechte Schüler, und es gab diese seltsamen glibberigen Wesen, die es über den Kumpelweg durchs Abitur versuchten - und es immer schafften. Schleimend, buckelnd, kriechend, Oberstufen-Karrieristen.
Sie waren nie wirklich gut, sie redeten nur viel, lachten über die gleichen Witze wie ein Lehrer, was für einen Schüler völlig unnatürlich ist, waren links, wenn links ein bessere Note versprach, und rechts, wenn der Lehrer streng war und Kanzler Kohl lobte. Jeder in der Klasse schien zu merken, dass der Speichellecker ein Blender war, außer der Lehrer. Ganz gleich, wie viele Jahre er sie unterrichtete. Nichts scheinen Lehrer mehr zu lieben, als einen Schüler, der ihnen nicht widerspricht, der immer lächelt und ihnen nach der Stunde sagt, dass er jetzt vielleicht Geschichte studierte, weil ihm das Fach so nahe sei, was nicht zuletzt daran liege, dass der Lehrer so großartig sei. In der Beziehung sind Lehrer nicht anders als Verliebte. Man kann jeder verliebten Frau sagen, dass sie die schönsten Augen der Welt hat. Und mag sie auch ein Glasauge haben, die Gute wird es glauben, so wie jeder Mann den größten Unfug glaubt, so lange er von seiner Angebeteten kommt. Lehrer sind Menschen, und Menschen lieben Komplimente.
Ob alle Professoren Menschen sind, kann ich nicht sagen, ich habe mal einige Altgriechisch-Vorlesungen besucht und denke seitdem darüber nach. Dennoch würde ich sagen, auch Professoren lieben diese Art Studenten. Die Beziehung zwischen den beiden lässt sich ungefähr wie die Beziehung zwischen George W. Bush und Silvio Berlusconi beschreiben. Bush oben, Berlusconi unten. Der unten lacht über die schlechten Witze des oberen, als hätte er nie etwas Lustigeres gehört. Dafür schaut der oben gütig herab und erweist Gefälligkeiten.
Man sitzt im Seminar, manchmal in der Vorlesung, und fragt sich, was aus solchen Typen wird, die sich wie präpotente Platzhirsche benehmen, wenn der Professor nicht da ist, und zu liebenswürdigen kleinen Johannes B. Kerners werden, sobald jemand in der Nähe ist, der für die persönliche Notenvergabe von Bedeutung sein könnte. Solche Typen haben leider Erfolg. Sie sind ihr Produkt, und sie verkaufen es perfekt. Diese Menschen werden später Konzerne leiten, Marketing-Kampagnen entwerfen, Personalabteilungen führen oder Kinder unterrichten. Radfahrer könnte man sie nennen, nach oben buckeln, nach unten treten.
Es wäre schön, wenn es an der Uni wirklich nur nach Leistung ginge. Tut es aber nicht, was sehr menschlich ist. Notengebung an einer Universität ist ungefähr so objektiv wie die Bewertung des Kündigungsschutzes durch den Arbeitgeberverband. Häufige Besuche in den Sprechstunden, nicht zu penetrant, so oft, dass man freundlich in Erinnerung bleibt. Kurze Nachfrage nach der Vorlesung, Interesse heucheln für eine Publikation in irgendeinem Fachblatt, die der Professor veröffentlicht hat. Stets kaschiert unterwürfig, nie profan devot. Wer das beherrscht, was zugegebenermaßen nicht ganz leicht ist, wird es im Leben weit bringen. Solche Menschen werden nicht viele Freunde haben, aber immer ein Auskommen. Für alle anderen gilt, dass man solche Menschen gewähren lassen muss. Es gab sie immer, wird sie immer geben. Man regt sich nur unnötig auf, das kostet Kraft, Geduld und Nerven. Nur nicht aufregen.
Das gilt natürlich nur für alle über 95, alle anderen sollten diesen Windschatten-Existenzen bei jeder Gelegenheit sagen, was sie von ihnen halten und welchen Zahn genau sie verlieren sollten, wenn sie endlich mit der Masche auf die Nase fallen.
Quelle: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/294790